Rockets in Florida

Kurz nach dem Ablegen von unserem letzten Bahamas-Aufenthalt auf den Berry Islands in Richtung Orlando / USA sind unsere Gefühle schon sehr stark von Abschiedskummer geprägt: Die Etappe von den Bahamas nach Florida wird bis auf weiteres unser letztes Blauwassersegeln und Endetappe unserer 1-Jahres-Reise sein…. Wie wird sich das anfühlen, wieder an Land zu leben, wie gut wird es uns gelingen, diese besondere Zeit in den uns dann bald in Deutschland erwartenden Alltag einzuflechten? Wie sehr wird uns allen das Sameera-Leben, die intensive Zeit miteinander und das Meer fehlen?

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Aber wie das so ist beim Segeln, es bleibt gar nicht viel Zeit zum Trübsal blasen, denn der Golfstrom erwartet uns auf diesem Trip und mit ihm eine spezielle Erfahrung des Segelns: Das Wasser ist unglaublich tiefblau, noch viel blauer, als wir es erwartet haben, außerdem ist es warm und gleißend hell. Wir haben relativ wenig Wind, unser bunter Genakker, sonst großartiger Turbomotor in allen Lebenslagen, hängt kraftlos eher in als an seinen Leinen und raschelt vernehmlich. Das Mittagessen ist  schon eine Weile her, gespült ist immer noch nicht ganz fertig, und niemanden kümmert es. Wir sind der Welt entrückt, allein die immer wieder vorbeiziehenden Frachter und Kreuzfahrtschiffe bieten den Blicken Halt. Die Funksprüche der Küste Floridas nehmen wir nur am Rande wahr, alles läuft ruhig und entspannt, wir hängen unseren Gedanken nach und plaudern, lassen das eine oder andere Erlebnis der Reise revuepassieren. Aufruhr herrscht allenfalls, als ein Sportfischer mit seiner kräftigen Motoryacht so dicht an uns vorbeifährt, dass seine Heckwellen die aufgetürmten Teller und Töpfe scheppernd in unserer Küche verteilen (Okay okay: Klar-Schiff segelt es sich doch am besten…).

Dann wieder cruist SAMEERA träge in flachen Wellen. Und dennoch, der Blick auf unser GPS verrät es: wir sind mitnichten langsam unterwegs, sondern dank Golfstrom-Antrieb werden wir kräftigst angeschoben, wie in einem Fahrstuhl, der uns schneller als wir es wahrnehmen nach Orlando hebt.

Gabriel´s Lagebericht am 22.06. um 15:30: „Wir fahren mit 3 Knoten durchs Wasser, fahren 7 Knoten over ground, bei 7 Knoten wahrem Wind.- Man kann sich gar nicht vorstellen, dass wir eigentlich gerade durchkatapultiert werden!“

Die Geräte zeigen´s: 7 Knoten Fahrt über Grund bei 3 Knoten Fahrt im Wasser:

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Für die alten Seefahrer ohne Logge, GPS und kräftige Motoren als allzeit abrufbare Option muss das die Vorstufe der Hölle gewesen sein. Wie kann man die Konzentration wahren bei diesem Licht und dieser Hitze? Wie die Orientierung behalten, wenn die Abdrift schneller ist als die Fahrt durchs Wasser? Man kann schon verstehen, dass sich so mancher Seefahrer rund um das sogenannte „Bermuda-Dreieck“ um den Verstand gesegelt hat, da ihm das gleißende Licht und die verwirrende Strömung die Wahrnehmung trübten.

Die leidvollen Erfahrungen der ersten Seefahrer, den echten Abenteurern, sind für uns keine wirkliche Bedrohung mehr; wir konnten uns knapp dem Wahn entziehen – wenn auch wir die leicht paralysierende Wirkung dieser Gegend verspürt haben (Spülen? später… Funken? jaja…). Die  Satellitennavigation macht diesen Teil des Golfstroms für uns verständlich, ja wir können ihn vorteilhaft nutzen. Aber haben wir den Golfstrom insgesamt verstanden?

Unzählige Male hat jeder von uns im Atlas seine Windungen an der Oberfläche und in der Tiefe angesehen, immer noch nicht könnten wir es erklären. Wie es scheint, lässt er sich von  Klimawandel, Erderwärmung und Wahlergebnissen auf beiden Seiten des Atlantiks nicht aus der Ruhe bringen. Der Brexit und Donald Trump sind ihm egal. Der Humboldtstrom kämpft mit El Nino, die Passatwinde gegen die immer frecher werdenden Tiefdruckgebiete, nur der Golfstrom zieht weiter seine Bahn.  Sollte er gotterschaffen sein – ist Gott vielleicht ein Segler? Gar ein Segler aus England, der mit dem Wind nach Westen segeln und mit dem Strom pünktlich wieder zu Hause sein kann?

Ok, es wird Zeit, an Land zu gehen….

Am Vormittag des 23.06. landen wir in Cape Canaveral an und machen die Leinen am Steg der dortigen Cape Marina fest.

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P1070261-Einlaufen nach Cape Caneveral-small

Wir kommen gerade rechtzeitig, um den Start der Falcon X Rakete – sozusagen vom ersten Rangplatz aus – zu beobachten (nicht ganz zufällig übrigens; wir hatten über Wochen die Terminverschiebungen des geplanten Raketen-Starts im Internet verfolgt und darauf gepokert, dass wir es so doch pünktlich zum tatsächlichen Start  schaffen würden – Glück gehabt also!). Dafür klettern wir auf das Dach der Sameera, machen es uns im Sitzsack gemütlich und starren in den Himmel.  Das Spektakel ist laut und schnell, aber der kleine, rasante Punkt am Himmel ist bei klarem Licht gut zu erkennen und der gigantische Kondensstreifen bleibt noch lange sichtbar. Was für ein Empfang – weit beeindruckender als Korkenknallen!

Suchbild Rakete:

Suchbild Rakete h

Kondensstreifen der Falcon X Rakete über der Sameera:

Raketenstart h

Die nächsten Tage sind wir dann gut damit beschäftigt, unser Hab und Gut von der Sameera zu räumen, in Boxen und Reisetaschen zu verpacken und das Schiff zur Übergabe an die Transfer-Crew vorzubereiten. Sie wird für uns die Sameera nach Europa zurücksegeln, während wir eine Rundreise durch Florida unternehmen und dann per Flugzeug nach Deutschland zurückreisen. Für diese Variante haben wir uns entschieden, da die Tour nach Europa – je nach Wetterlage – recht rau ausfallen kann, was wir insbesondere den Kindern – voran dem kleinsten – nicht zumuten wollten. Zudem ist die Dauer des Trips nach Europa nur sehr schwer kalkulierbar – da wir aber zu einem fixen Zeitpunkt (Roland´s Arbeitsbeginn) wieder in Deutschland sein müssen, entscheiden wir uns für die „planbare Variante“ per Flug.

Die Transer-Crew ist eine sympathische 4-Mann-Truppe, zusammengewürfelt aus Neuseeland, USA, England und Norwegen; erfahrene Skipper, die sich schnell und routiniert mit der Sameera vertraut machen (Briefing, Testsegeln etc.).  Nach erledigtem Räumen und Verproviantieren der Crew machen sie sich am 29.06. auf den Weg Richtung Europa (über Bermuda und Azoren). Wir 5 Kunerts winken unserer Sameera wehmütig hinterher….

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… und klettern sodann in das Wohnmobil, das wir uns für die Florida-Rundreise gemietet haben. Jetzt sind wir also wieder Landratten.

Womati Slider

Das  Wohnmobil hat amerikanische XXL-Dimensionen und – wie es sich für Amerika gehört – kann man das Mobil zusätzlich durch seitliche Slider extenden. Wow. Es bietet also reichlich Platz – und ist doch, wenn man es auf den Camp sites mit den anderen dort versammelten und üblichen Wohnkolossen vergleicht, ein relativer Winzling. Für uns passt´s – und mit Gaudium schaukeln wir damit über die Highways Floridas. Haben wir anfangs noch über die Klimaanlage gelächelt, sind wir spätestens nach der ersten glutheißen Nacht im Wohnmobil  zu treuen Anbetern dieses Equipments konvertiert. Es macht schon Sinn, dass die Hauptreisezeit für Florida nicht im Sommer liegt… Wer sich trotzdem innerhalb dieser Monate zu einer Floridareise hinreißen lässt, muss eben mit infernalischer Hitze und Mückenattacken rechnen…. und ist froh, wenn er sich davor ins wohltemperierte Wohnmobil retten kann.

im Womati

Spätestens hier ist uns aufgefallen, wie sehr wir das Leben an Bord vermissen: immer eine frische Brise um die Nase, immer die Möglichkeit, sich kurzerhand im Meerwasser zu erfrischen, keine Mücken an Bord, da sie vom Winde verweht werden… Wir müssen uns langsam entwöhnen…

Nun ja, es ist Juli – und wir erkunden Florida per Wohnmobil und ignorieren tapfer die Hitze. Das Kennedy Space Center ist erfreulicherweise klimatisiert – und mit Begeisterung stürzen wir uns in die Geschichte der Raumfahrt. Die Apollo-Missionen, das Space-Shuttle-Programm, moderne Mars-Expeditionen und vieles mehr sind Themen, zu denen sich vor allem die Jungs einen lieben langen Tag mit Forschertrieb und Amüsement austoben können.

AGLS vor Rakete hell  Astronauten sartkl 2

Wir waren ja sehr neugierig nicht nur aufs Land, sondern auch auf die Leute hier. Unser erster Eindruck ist, dass die meisten Menschen extrem freundlich und aufgeschlossen uns gegenüber sind. Das mag natürlich daran liegen, dass wir uns vornehmlich dort bewegen, wo wir auf Leute mit ähnlichem mindset und Interessen treffen (sprich die ersten Tage in der Marina; da findet sich immer und schnell ein Anknüpfungspunkt und Gelegenheit zum Plausch, unter Seglern allemal).

Aber auch auf dem Roadtrip sind wir immer wieder auf sehr freundliche Leute getroffen – auch wenn uns auf den Campsites das Hissen großformatiger Trump-Flaggen durch die Nachbarn um das eine und andere Mal doch irritiert hat.

Im Socializen sind Lorenz und Gabriel im Verlauf unserer Reise wahre Meister geworden (auch „unsere Außenminister“ genannt). Ein unverfängliches Gespräch übers Segeln und Angeln, und sie bringen uns auch mit Leuten ganz anderer Weltanschauungen und Couleur in Kontakt. Und so konnten wir mit Trump-Gegnern, die eine Isolation Amerikas und weltweite Destabilisierung befürchteten, als auch Trump-Fans, die in Trump einen gewieften Pokerspieler zu Amerikas Gunsten sehen, gleichermaßen ins Gespräch kommen. Natürlich waren wir nur eine kurze Zeit dort und haben nur einen minimalen Ausschnitt aus Kultur und Ansichten aufschnappen können. Das zu vertiefen, wäre sicher eine nächste Reise nach Amerika wert – nur bitte nicht im Hochsommer…  Aber bitte gern mit unseren Jungs, die so unbefangen auf ihr Gegenüber zugehen und Türen öffnen, wie wir Großen es oft leider schon nicht mehr tun.

Nach unserem Rundtrip mit Stationen in Key Largo (Rifftauchen):

Key Largo

Miami (Frost Science Museum und Miami Beach):

Miami

den wunderschönen Everglades (mit beachtlichen Mücken, Alligatoren und Manatis):

Everglades   Alligatoren   Manatee

St. Petersburg (mit surreal erbautem Dalí-Museum):

Dali Museum Treppe Dali Museum

und schlussendlich Orlando (hier früher Kaffee auf dem Campground):

Frühstück auf Campsite Orlando

verfrachteten wir unser Gepäck und uns in den Flieger.

Auf nach Europa – nach einem Jahr wunderbarer Eindrücke und Erlebnisse!